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Sie kรถnnen den Text des Briefes auf der Internetseite #LeaveNoOneBehind nachlesen. Gerichtet ist das Schreiben an Olaf Scholz, Nancy Faeser, Annalena Baerbock, Marco Buschmann und Lisa Paus in ihrer Funktion als Mitglieder der Bundesregierung. Die Botschaft, die die Adressaten sicher lรคngst erreicht hat, sie ist getragen von Sorge.
Sorge um die Zukunft derjenigen Individuen, die zu uns kommen wollen, weil ein Leben dort, wo sie bislang zuhause waren, aus unterschiedlichen Grรผnden nicht mehr mรถglich ist: Politische Verfolgung, Benachteiligung aufgrund des Glaubens, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, Not, Hunger, Krieg sind die wichtigsten Motive, die Menschen dazu bringen, alles hinter sich zu lassen und sich auf den Weg zu machen. Auf den Weg in ein hoffentlich besseres Leben.
Was genau steht im Offenen Brief? Zunรคchst einmal, dass im Koalitionsvertrag ein neuer Umgang mit Migration versprochen worden war. Nun aber kรถnne man erkennen, dass die Bundesregierung intendiere, dem neuen, deutlich verschรคrften EU-Asylrecht zuzustimmen. Im Kern sieht dieses vor, Asylverfahren zumindest partiell in speziellen Aufnahmeeinrichtungen an den EU-Auรengrenzen durchzufรผhren. Liegen keine ausreichenden Grรผnde fรผr eine Aufnahme vor, so erfolgt die Abschiebung der jeweiligen Person direkt von dort aus. Ausfรผhrlich berichteten wir รผber das Vorhaben vor einem Monat am 4. Mai in dem Artikel โWillkommen in Europa. So aber nicht!โ
Der Weg, den die Verantwortlichen nun einschlรผgen, entferne sich deutlich von der im schriftlichen รbereinkommen der Regierungsparteien festgeschriebenen Forderung nach โbesseren Standards in den Asylverfahren der EU-Staatenโ. Und statt der zugesagten genauen Prรผfung aller Asylbegehren sei man jetzt bereit, einer Ausweitung der Liste der Lรคnder, die als vermeintlich sicher gelten, zuzustimmen.
Die Verfasser des Offenen Briefes geben ihrer Befรผrchtung Ausdruck, dass nun auch bei uns โ wie in anderen europรคischen Lรคndern zurzeit โ der Populismus โdie Oberhandโ in der Debatte รผber das Asylrecht gewinnen kรถnnte. Gerade deswegen fordert man die Bundesregierung dazu auf, nach Verbesserungen zu streben, anstatt den jetzt eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Nicht unerwรคhnt soll bleiben, dass die 50 Unterzeichner anbieten, sich mit den politischen Verantwortlichen sowie Experten zum Thema Migration zu treffen, um gemeinsam mรถgliche Lรถsungswege zu diskutieren.
Herbert Grรถnemeyer, Katja Riemann, Deichkind, Klaas Heufer-Umlauf und 46 weitere Prominente. Sie haben ihren Aufruf zur Rรผckkehr zu der im Koalitionsvertrag festgelegten Richtung im Umgang mit Migration deutlich formuliert. Liest man die 2021 zwischen den Regierungsparteien getroffenen Vereinbarungen, so prรคsentiert sich hier ein durch mehr Fairness und Rรผcksicht geprรคgter und die Menschenwรผrde achtender Ansatz. Diese Fest-legungen des Umgangs mit dem Thema Asyl erscheinen kontrรคr zu den in der EU aktuell diskutierten Maรnahmen. Genau diese erklรคrt die Bundesrepublik nun unterstรผtzen zu wollen. Was hat sich verรคndert?
Richten wir unseren Blick zunรคchst einmal auf die wachsenden Flรผchtlingsstrรถme: Die Zahl der Erstantrรคge auf Asyl nahm in der EU im Jahr 2021 um 34 % zu, das sind allerdings 10% weniger als im Vorpandemiejahr 2019. Im vergangenen Jahr hat sich der Wert noch einmal deutlich erhรถht, die Zunahme betrug nun 46,5 %.
Lรคnder, Landkreise, Stรคdte und Gemeinden zeigen immer wieder an, dass sie mit der Unterbringung der Asylsuchenden รผberfordert sind und fรผhlen sich allein gelassen. Die politische Stimmung in der Bundesrepublik, sie scheint in der Asylfrage zu kippen. Und das spiegelt sich in der Haltung der Menschen im Land, dem Populismus zugeneigte Krรคfte liegen bei der jรผngsten Sonntagsfrage gleichauf mit der die Koalition fรผhrenden SPD.
Die Europรคische Union, sie muss nach Lรถsungen suchen. Gemeinsam. Und da liegt das Problem. Die Interessen, sie sind je nach geographischer Lage, dem unmittelbaren Zustrom von Flรผchtlingen und politischer Ausrichtung der jeweiligen Regierung hรถchst unter-schiedlich. Modelle, die in einer Region der EU praktiziert werden kรถnnen, sind aufgrund ganz eigener Bedingungen in einem anderen Teil Europas hรคufig nicht umsetzbar.
Es sind genau diese Unterschiede, die eine Einigung so schwer machen. Dennoch gilt: Die Europรคer mรผssen Strategien fรผr den Umgang mit einem Problem finden, dass sich nicht von selbst lรถst. Europa wird sich langfristig kaum einer weiteren Zuwanderung erwehren kรถnnen, ohne irgendwann davon รผberrollt zu werden. Es bedarf der Vernunft, dieses einzusehen.
Von diesem Punkt aus muss Politik nach Modellen suchen, die die Lรคnder der EU auf der einen Seite nicht รผberfordern. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass die Achtung der Menschenwรผrde, ein weiterhin ganz selbstverstรคndlicher Wert ist, ganz besonders auch gegenรผber denen, die bei uns Zuflucht suchen. Damit wรคre zunรคchst einmal ein Rahmen abgesteckt. Einen solchen benรถtigt man, bevor รผber konkrete Maรnahmen und Schritte gesprochen und entschieden wird. Statt zunรคchst diesen Grundkonsens zu finden und zu formulieren, bereitet man jetzt Verfahren vor, die die groรe Gefahr in sich tragen, spรคtestens in ihrer praktischen Umsetzung ungerecht und inhuman zu sein.


