Autor und Sprecher
Technik und Gestaltung
Foto von Miguel ร. Padriรฑรกn
Stellen wir uns vor, wir sind Regierung, nur so, fรผr einen Moment lang. Zwar irgendwie demokratisch gewรคhlt, aber mit wenig Vertrauen in unsere Bรผrger ausgestattet. Deshalb ist es auch gut und fรผr alle besser, wenn wir den Informationsfluss und -austausch kontrollieren. Mรผhsam, aber mรถglich mit Zensur und Falschmeldungen zu operieren. Jederzeit machbar und gar nicht wirkungslos: Den Stecker ziehen, also den vom Internet. Die Organisation von Aufstรคnden, Unruhen und Protesten, Kritik an uns, der Regierung, auf Facebook oder Twitter โ das geht nicht. All diesem kann man entgegenwirken, wenn man den Zugang zum Datennetz kappt. Verfรผhrerisch oder? Wir meinen es doch nur gut. Und endlich ist Ruhe.
Wer macht denn so etwas? Die Organisation โAccess nowโ, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich fรผr die digitalen Freiheitsrechte der Bevรถlkerung einzusetzen, verรถffentlichte im Februar 2023 dazu einen Bericht mit dem Titel โWeapons of control, shields of impunity: Internet shutdowns in 2022. Diesen aktualisierte sie unlรคngst am 23. Mai. Lesenswert in jedem Fall. Schon ein Blick ins Inhaltsverzeichnis lรคsst erkennen: Alle Kontinente sind von dem Phรคnomen betroffen. Egal, ob es um die Eindรคmmung von Protesten, Einfluss auf Wahlen oder das nachhaltige Sperren von Plattformen des Austauschs im Internet geht. Abschalten lรคuft.
Betrachtet auf einer Zeitachse von 2016 bis heute zeigt sich ein zunehmender Trend, das Internet innerhalb eines Landes oder einer Region einfach zu deaktivieren, wenn es den Herrschenden notwendig erscheint. Zu Beginn des Betrachtungszeitraums waren es 75 Unerreichbarkeiten innerhalb eines Jahres. 2019 wurde der Zugang zum Netz insgesamt 213-mal gekappt, im letzten Jahr registrierte man 187 dieser Fรคlle. Auch interessant: Die Anzahl der involvierten Lรคnder, 2016 waren es noch 25, 2019 33, im vergangenen Jahr 35.
Und wer fรผhrt die Internetkappungshitparade an: Spitzenreiter ist Indien. Ende Februar zuletzt, da fiel das Land durch sein beherztes Durchgreifen auf: Es waren Informationen zu einer Klausur von sich in der Ausbildung befindlichen Lehrern durchgesickert. Man schaltete in fast dem gesamten Bundesstaat Rajasthan das mobile Internet ab. Eine drastische Maรnahme, um Tรคuschungen bei Prรผfungen zu unterbinden. Vor allem auch deshalb, weil Menschen das Datennetz-to-go natรผrlich aus vielen anderen Anlรคssen nutzen wollten oder mussten und dies nun nicht konnten.
รberhaupt scheint die aktuelle Regierung unter Premierminister Modi nicht zimperlich zu sein. Bewusst nutzt man Abschaltungen um die Ausbreitung von regierungsfeindlichen Informationen und Berichten รผber Proteste zu verhindern oder schlicht Kritik in bestimmten Situationen einzudรคmmen. Hรคufig sperrt man auch den Zugang zu Internetseiten oder veranlasst die Lรถschung von unliebsamen Inhalten. Die Pressefreiheit, sie scheint nicht besonders schรผtzenswert zu sein. Man versucht gezielt durch die รbernahme privater Medien mithilfe von Vertrauten Modis, die Verbreitung von Informationen zu beeinflussen und damit zum Beispiel Regierungsgegner zu diskreditieren.
Problematisch. Eine Demokratie atmet und lebt nur dann, wenn Informationen frei flieรen kรถnnen. Nur so ist Meinungsbildung und โ verkรผrzt dargestellt โ politische Partizipation mรถglich. Es ist heute mehr denn je schwierig, mithilfe objektiver Fakten zu einer eigenen und argumentativ gut vertretbaren Position zu einer politischen Frage zu kommen. In groรem Umfang wirken wirkliche Nachrichten, Fake-News und ungesicherte Informationen aus sozialen Netzwerken auf uns ein.
Und erst nach einem Faktencheck und damit einer Objektivierung der gesammelten Informationen kann sich der Bรผrger ein Bild zu machen. Wenn dann der Staat โ so wie in Indien, aber auch vielen anderen Lรคndern โ noch inhaltlich manipulierend eingreift und den freien Zugang zum Internet nicht als Teil des Grundrechts auf ungehinderten Zugang zu Informationen versteht, dann entfernt er sich mit groรen Schritten vom Ideal einer freiheitlichen Demokratie.


