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Wo Meinungen aufeinander treffen

Die Rede der Claudia Pechstein

Photo by Ryutaro Tsukata: https://www.pexels.com/photo/aged-toy-police-car-on-wooden-shelf-5472259/

Autor und Sprecher

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Elisabeth Siefert
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Ryutaro Tsukata

Mit Sportlern ist das immer so eine Sache. Hรคufig โ€“ ein wenig hรคngt das auch von der ausgeรผbten Sportart ab โ€“ verfรผgen sie รผber eine hohe soziale Kompetenz und verstehen es andere in Gruppen gut zu integrieren. Auch wenn ich jede Form von Bewegung รผber das Notwendige hinaus kategorisch ablehne, so habe ich die Fraktion der Ballspieler, Turner oder Biker bislang immer als sympathische Zeitgenossen erlebt. Meist, da bin ich ein Opfer meiner eigenen Vorurteile, saรŸ sogar der Verstand an der richtigen Stelle und zeigte die notwendige Beweglichkeit auch jenseits des Spielfelds.

Nun aber zu Frau Pechstein. Eisschnelllรคuferin, insgesamt neun olympische Medaillen, fรผnf davon in Gold. Im Jahr 2009 geriet sie in Schwierigkeiten, ein Bluttest hatte auffรคllige Werte gezeigt. Ergebnis: Zwei Jahre Sperre. Daran รคnderte sich auch nichts, als Pechstein sich gerichtlich wehrte und Gutachten zu einer angeborenen Blutanomalie vorlegte. Sportlich blieb Pechstein nach der Zwangspause weiterhin erfolgreich, noch 2022 nahm sie an der Olympiade in Peking teil.

Letztes Wochenende fand in Berlin der CDU-Grundsatzkonvent statt. Die Veranstaltung, sie ist eine der Etappen der Partei auf dem Weg zu einem neuen Programm. Hier sollten sich Mitglieder, Fachleute und auch Menschen aus der Zivilgesellschaft รผber Positionen des Grundsatzprogrammes austauschen. Frau Pechstein hatte man auch eingeladen. Als Rednerin.

Reden halten ist beileibe keine einfache Sache. Claudia Pechstein hat sich redlich bemรผht, ihren Text vorzutragen. Allein, es ist ihr so gar nicht gut gelungen. Das ist auch in Ordnung. Sich vor ein Publikum zu stellen und etwas โ€“ frei oder abgelesen โ€“ vorzutragen, das bedarf einer guten Vorbereitung, viel รœbung gehรถrt auch dazu. In der Partei, die die Sportlerin zum Vortrage einlud, gibt es eine Menge gut geschulter Damen und Herren, die bei der Vorbereitung von Pechsteins Auftritt hรคtten helfen kรถnnen. Es spricht nicht sehr fรผr eine Partei einen Nicht-Profi in die ร–ffentlichkeit zu stellen, ohne ihn vorher unterstรผtzt zu haben. Das Ergebnis ist eine unnรถtige BloรŸstellung.

Neben der Form des Vortrags ist da noch der Inhalt dieser Rede. Die Themen sind vielfรคltig, ich erspare Ihnen keines: Stรคrkung des Schul-, Vereins- und Breitensports. Ein Lob fรผr die Ehrenamtlichen. Die Notwendigkeit der Aktivierung der Jรผngsten, auch um die zukรผnftige Entlastung der Gesundheitskassen willens. Betonung des Mottos โ€žLeistung muss sich wieder lohnenโ€œ am Beispiel der eigenen Karriere. Mehr Fรถrderplรคtze fรผr Sportler bei Bundeswehr und -polizei, die man sich aber verdienen muss. Schwenk zum Polizeidienst und dem Primat des Helfen-Wollens. Dann Asylrecht: Kein Verstรคndnis dafรผr, dass abgelehnte Asylbewerber im Land bleiben dรผrfen. Forderung nach einer rechtsstaatlichen Lรถsung. Dadurch nicht nur Erleichterung der Polizeiarbeit, auch mehr Sicherheit im Alltag: Angstfreie Nutzung der รถffentlichen Verkehrsmittel dann mรถglich. Das sei wichtiger โ€“ wir kehren jetzt hier wieder zu Sรคtzen zurรผck โ€“ als Diskussionen รผber Gendersternchen, den Begriff โ€žDeutscher Liederabendโ€œ oder die Verwendung der Bezeichnung โ€žZigeunerschnitzelsโ€œ. AbschlieรŸend ein Lob des Grundwertes โ€žFamilieโ€œ in traditioneller Form mit โ€žMama und Papaโ€œ. Die CDU muss als Volkspartei Familienpartei sein.

Wie viel Analyse vertragen Sie? Die Rede fรคllt allerspรคtestens inhaltlich in die Kategorie des unbedingt zu Vermeidenden, als Pechstein sich von der Hilfsbereitschaft der Polizei zum Asylrecht bewegt. Aus dem Gesagten verstehe ich, dass abgelehnte Asylbewerber unmittel-bar abzuschieben seien. Dann kรถnnte man die รถffentlichen Verkehrsmittel auch wieder angstfrei benutzen. Man mag sich politisch etwas wรผnschen, es aber derart zu verknรผpfen und den nicht anerkannten Asylsuchenden als fรผr andere gefรคhrlichen Menschen darzustellen, ist zunรคchst einmal sachlicher Unfug, unertrรคglich und gefรคhrlich. Der Applaus aus der Ecke der Ordentlichen und Anstรคndigen jedenfalls ist ihr so sicher.

Das Gendersternchen oder der โ€žDeutsche Liederabendโ€œ, hier hรถre ich den Klang von โ€žWir lassen uns von linken, liberalen und progressiven Intellektuellen nicht sagen, was wir zu sagen oder zu schreiben haben. Faust-auf-den-Tisch-Protest Marke Deutscher Stammtisch. Unterirdisch wird es beim Zigeunerschnitzel. Hatten nicht Fr. Pechsteins Eltern sie โ€žanstรคndigโ€œ erzogen? Haben Sie vergessen zu erwรคhnen, wie viele Sinti und Roma als Zigeuner Opfer der NS-Diktatur geworden sind und wie sie bis heute Ausgrenzung erleben?

Das Glรผck der Deutschen, es liegt offenbar in der Familie. Aber bitte in einer anstรคndigen, deutschen, traditionellen Familie. Die Summe der mรถglichen Vielfalten wird so zum gesellschaftlichen Fremdkรถrper, das ist nie weit entfernt vom Aussรคtzigen, Verfolgten, bestenfalls noch Vertriebenen. Ich lege Frau Pechstein nahe, ein paar Schuljahre Geschichte zu wiederholen. Dann wird โ€“ das wรผrde ich ihr wรผnschen โ€“ รผber ihre eigenen Worte erschrecken. Nun allerdings sind sie erst einmal in der Welt.

Und es gibt genug Menschen, die zustimmend nicken. Wenn nicht bei jedem der angesprochenen Themen und Positionen, so doch bei einigen. Ein bisschen erinnert mich das Ganze an den Kulturkampf in den USA. Konservative schรคrfen ihre Waffen, machen ihre Positionen รผberdeutlich, versichern sich so einer Anhรคngerschaft, die ihnen zu Mehrheiten verhelfen soll.

Ich teile Frau Pechsteins Sicht nicht. So einfach ist das. Ihren Vortrag hielt sie in einer Uniform der Bundespolizei, bei der sie beschรคftigt ist. Erneut schwierig. Ist nicht die Polizei wie jedes andere Staatsorgan zur Neutralitรคt verpflichtet. Dass Frau Pechstein eine Meinung hat und diese รถffentlich รคuรŸert, ist in einer Demokratie eine Selbstverstรคndlichkeit. Das Tragen einer Uniform dabei kรถnnte zu Missdeutungen und -verstรคndnissen fรผhren. Die Sportlerin erweckte so bei einigen Hรถrern vielleicht den Eindruck, sie habe als offizielle Vertreterin des Staates gesprochen. Dem war nicht so. Dafรผr bin ich dankbar.