Autor und Sprecher
Technik und Gestaltung
Foto von micheile henderson auf Unsplash
Bei Quelle, Bader oder Otto kaufen, das war fรผr die รlteren unter uns der Vorhof zum Online-Shopping in den 70iger und 80iger, auch noch den 90iger Jahren. Stundenlanges Schmรถkern im jรคhrlich neu erscheinenden Katalog, auf der Suche nach einem gรผnstigen und dennoch guten Artikel, den es so im lokalen Handel in einer vergleichbaren Qualitรคt und Ausfรผhrung zu diesem Preis nicht gab. Nรคchster Schritt: Ausfรผllen der Bestellpostkarte mit der Artikel- und Kundennummer und dann ab zur Post. Wenn es schneller gehen sollte, konnte man sich auch per Klingeldraht direkt mit der Telefonzentrale des Vollsortimenters seines Herzens verbinden und dort die fรผr den Anruf ausgewรคhlten Konsumwรผnsche kundtun.
Was wir alle wussten: Viele Artikel stammten aus der DDR-Produktion. Und da deren Devisenhunger und -bedarf groร war, konnte man eine nicht geringe Menge von im Sozialismus hergestellten Konsumgรผtern in den Katalogen der Versandhรคuser โ durchaus aber auch im stationรคren Fachhandel โ finden und kaufen. Dass diese Waren zum Teil in der DDR gar nicht zu erwerben, knapp oder sehr teuer waren, wusste man. Ganz soweit, dass wir deshalb auf die Gรผter โMade in GDRโ verzichteten, ging unsere Solidaritรคt mit den โBrรผdern und Schwestern im Ostenโ dann aber doch nicht.
Noch wenige Worte zur Qualitรคt: Hรคufig รผberdurchschnittlich bis hervorragend. Ich erwarb Ende der 80-Jahre bei Quelle ein Hifi-Set fรผr nur 600,– DM, gebaut vom Volkseigenen Betrieb RFT, versehen mit dem Markenaufdruck โUniversumโ. Im Set: Ein vollautomatischer Plattenspieler mit Riemenantrieb, ein Full-Logic-Tape-Deck, dazu gab es einen Tuner und einen kraftvoll spielenden Verstรคrker. An den Komponenten hatte ich wirklich lange Freude. Und auch der RG28, so hieร ein in der DDR hergestelltes Handrรผhrgerรคt, war von guter Qualitรคt. Doch genug der Notalgie.
Dass es bei der Produktion von denen im Westen begehrten Gรผtern nicht immer zuging, wie man sich das vielleicht vorstellte, berichtete der Spiegel bereits im Juni, mittlerweile hat der MDR weiterrecherchiert: Es geht um die Kameras des Herstellers VEB Pentacon, sie fanden in der Bundesrepublik groรen Anklang und Kรคufer in Scharen. Zu erwerben waren sie unter anderem bei Otto unter dem Markennamen โPrakticaโ. Gefertigt, wie wir nun erfurhen von Menschen, die nicht freiwillig an der Produktion beteiligt waren. Bekannt wurde, dass Teile der hochwertigen Kameras im Cottbusser Gefรคngnis in Zwangsarbeit entstanden. Hier waren viele politische Hรคftlinge untergebracht. Ein groรer Teil des Maschinenparks des Herstellerwerkes, mit dem gestanzt wurde, er befand sich gut bewacht genau dort.
Dass Gefangene zu dieser Arbeit gezwungen wurden, konnte man bereits 1976 erfahren, als der Branchendienst โMarkt internโ darรผber berichtete. Die Arbeit an den Stanzen, sie fรผhrte hรคufig aufgrund der scharfkantigen Metallbauteile zu Verletzungen. Einzelne Geschรคfte des stationรคren Fotofachhandels verkauften daraufhin die Gerรคte zum Teil nicht mehr. Bei Otto bestreitet man, von der Angelegenheit erfahren zu haben. Schwer zu glauben, auch weil im Jahr 1979 ein Interview mit einem ehemaligen Hรคftling im ZDF gesendet wurde, durch das man รผber die Umstรคnde der Produktion hรคtte Kenntnis haben kรถnnen.
Und Otto: Schon nach den ersten Berichten des Spiegels wies man die Anschuldigung, von Hรคftlingsarbeit gewusst und dennoch von ihr profitiert zu haben, zurรผck. Da sowohl in Cottbus und Dresden produziert wurde, sei die Wahrscheinlichkeit, dass die verkauften Kameras mit Bauteilen aus Zwangsarbeit versehen gewesen seien, gering. Schwierig: Denn wie schon erwรคhnt, die meisten Stanzanlagen, vierzig von ihnen, sie standen in Cottbus, nur zehn in Dresden.
Das Problem ist zeitlos. Auch bei den Konsumgรผtern, die wir heute erwerben, kennen wir selten die Historie ihrer Entstehung. รber Kinderarbeit bei der Beschaffung von Lithium, das Bestandteil der allgegenwรคrtigen Akkus ist, wurde berichtet. Oder von den Arbeitsbedingungen bei chinesischen Konzernen, in denen unsere Smartphones zusammengebaut werden. Auch die deutsche Autoindustrie, die in China produziert, geriet wegen einer mรถglichen Beschรคftigung von zur Zwangsarbeit verpflichteten Uiguren in die Schlagzeilen, der Konzern schlieรt so etwas aus.
Es gehรถrt sicher auch zur aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte eine Kultur des genaueren Hinschauens zu etablieren, nachzufragen, kritisch zu bleiben und bei Konsumentscheidungen auch diesen Kontext zu bedenken. Im Nachgang einzurรคumen, vor vielen Jahrzehnten etwas grundsรคtzlich falsch gemacht zu haben und mehr รผber die Herkunft jetziger Produkte offenzulegen wรคre vielleicht ein guter Ansatz um Kunden zu halten und zu gewinnen. Den Damen und Herren bei Otto mรถchte ich empfehlen, รผber diesen Vorschlag nachzudenken.


