Autor und Sprecher
Technik und Gestaltung
Illustration mit KI erstellt
Sie sind ein Langweiler. Das gilt vor allem dann, wenn an Ihrem Postkasten die folgende Botschaft in kaum lesbarer Handschrift, meist schief befestigt, klebt: Bitte keine Werbung einwerfen! Sie wissen folglich gar nicht, was Ihnen da entgeht. Denn Ihre brรผsk formulierte Ablehnung von konsumrelevanten Verbraucherinformationen, lรคsst Sie ein Sonderangebot nach dem nรคchsten verpassen.
Doch zunรคchst: Ihnen entgehen auch noch wichtige Nachrichten, deren Relevanz fรผr Ihre Lebens- und Freizeitgestaltung Sie ganz offenbar nicht erkannt haben. Um die Sammlung unterschiedlicher Werbeblรคttchen legt sich meist ein Presseprodukt, das vorgibt eine zeitungsรคhnliche Publikation zu sein. Prรคsentiert wird einem ein Informationsmix von Beitrรคgen, die vom Polizeibericht, einer Reportage รผber das Jahresfest des Kleingartenvereins bis zu vermeintlich redaktionellen Texten reichen, in denen das Elektrogeschรคft in der Ortsmitte vorgestellt wird, das รผbrigens und vollkommen zufรคllig in dieser Woche Waschmaschinen im Angebot hat.
Dazu werden meist noch die aktuellen Termine der drei รถrtlichen Volkshochschulkurse aufgelistet und ein Farbfoto zeigt die Ehrung der schnellsten Teilnehmer am Ortslauf. Man sieht die Damen und Herren auf der Siegertreppe stehend, wie sie von Freude รผberwรคltigt die Theatergutscheine der Ortsbรผhnenlaiengemeinschaft fรผr deren Herbstauffรผhrung entgegennehmen. Kultur also auch noch.
Viel entscheidender als die unfassbar informative Umverpackung sind aber die Prospekte der Discounter, Mรถbel- und Elektrogeschรคfte in nรคchster Umgebung. Nicht dass man deren Angebote auf diversen Internetseiten oder in Apps genauso studieren und sich daraus einen elektronischen Einkaufszettel basteln kann. Wer macht schon so etwas?
Das wirkliche Glรผck am Samstagnachmittag oder Sonntagmorgen durchfรคhrt einen doch, wenn man am Tisch oder auf dem Sofa entspannt sitzend durch die farbenfroh prรคsentierten KaufEin-Publikationen blรคttert. Was hier an- und dargeboten wird, ist gleichsam zum Greifen nah. Dieses Gefรผhl bietet keine Applikation auf einem Smartphone oder dem iPad.
Mensch kann das Bratergebnis, das man mit der neuen Lidl-Pfanne erzielen wird, schon fast schmecken. Mensch fรผhlt das warme Wasser wohlig an sich herabflieรen, wรคhrend er das Angebot fรผr die LED-Wellness-Handbrause studiert. Und Mensch ist entzรผckt, wenn er sich die Prรคsenz der Aldi-LED-Gartenlaterne in die Zukunft blickend vergegenwรคrtig. Wie wird es sein, wenn er mit seinem Liebsten auf den im gleichen Geschรคft erhรคltlichen bequemen Stรผhlen mit bunten Polstern gen Sternenhimmel schaut und beide dabei ein Glas Irgendwas trinken, das der Fastvollsortimenter diese Woche auch zu einem wirklich guten Preis offeriert. Das Mensch keinen Garten, sondern einen Balkon hat, stรถrt dabei nicht wirklich. So eine Laterne kann man ja abends mit in die Wohnung nehmen, da macht sie sich auch sehr schรถn.
Es ist also eine unbรคndige Vorfreude, ausgelรถst von den Produktempfehlungen, die die Fantasie des Lesenden so ankurbelt, das er fasziniert von Dingen ist, die er eigentlich nicht braucht, nun aber unbedingt haben muss. Wer sich dem verweigert, indem er ein Konsuminformationenablehnungsschildchen an seinen Briefkasten klebt, der lรคsst sich fantastische sinnliche Erfahrungen der Vorfreude entgehen.
Zudem verweigert er seinem Gehirn den Zugang zu gartenlaterenen-induzierten Projektions-Glรผckshormonen. Und der Wirtschaft schadet er zudem, weil er die Inlandsnachfrage schwรคcht und Arbeitsplรคtze gefรคhrdet. Wie unsolidarisch ist doch eine solche Haltung. Wenn Sie so denken, dann รผberdenken Sie dies bitte. Noch ist es Zeit umzukehren. Welche Freuden Sie erwarten wissen Sie ja nun. Was ich Ihnen nicht verraten habe ist, wie Sie sich fรผhlen werden, wenn fรผr Sie vollkommen unerwartet zur Wochenmitte Prospektnachschub erhalten und von magischen Krรคften geleitet wie hypnotisiert den Weg zu einem hollรคndischen Allerleidiscounter finden werden.


