Autor und Sprecher
Technik und Gestaltung
Foto von Markus Spiske
Der technische Aufwand ist groร. Aber das ist es mir wert. Vielleicht liegt es an der Sprache, der anderen Kultur, sicher am Humor und an der Vielfalt, mรถglicherweise auch daran, dass 50 % meiner Gene von dieser Insel stammen. Wenn ich fernsehe, schaue ich die Programme, die รผber den Satelliten Astra 28.2 รผbertragen werden. Dort findet man unter anderem die Sender der BBC, von itv oder auch Channel 4. Gerade die BBC, gleichsam das Role-Model der รถffentlich-rechtlichen Sender in der Bundesrepublik, sie weiร mich mit einer immer wieder รผberraschenden und qualitativ hochwertigen Vielfalt zu begeistern. Und wer sie kennt, der kennt auch Gary Lineker.
Er ist das, was man in England einen Householdname nennt, ehemaliger Nationalspieler und seit vielen Jahren Moderator von Sportsendungen der BBC. Sympathisch, dem Publikum zugewandt und mit Expertise fรผhrt er durch die ihm anvertrauten Programme. Nicht so am vergangenen Samstag, denn aktuell ist der Fernsehprofi suspendiert. Der Grund: Er hatte sich kritisch โ nicht im Programm sondern รผber Twitter โ zu einer geplanten รnderung des britischen Asylrechts geรคuรert.
Linekers Thema: Es liegt ein Gesetzesentwurf der Innenministerin Suella Braveman vor. In diesem geht es um Personen, die illegal in das Vereinigte Kรถnigreich รผber den รrmelkanal als Boots-flรผchtlinge einreisen und darum, wie zukรผnftig mit ihnen verfahren werden soll. Man will sie in Haft nehmen und nach spรคtestens 28 Tagen in ihr Heimatland abschieben, ggf. in ein anderes Land. Eine รberprรผfung daraufhin, ob ihr Asylbegehren begrรผndet ist, erfolgt nicht. Eine rechtliche Mรถglichkeit, dagegen vorzugehen, haben die Geflรผchteten erst, wenn sie England wieder verlassen haben. Ausgenommen sollen von der Regelung nur Menschen unter 18 Jahren oder solche sein, deren Gesundheitszustand dieses Vorgehen nicht erlaubt, ggf. auch, wenn ein Hรคrtefall vorliegt. Der Entwurf, so Braveman, entspricht wahrscheinlich nicht dem britischen Gesetz รผber Menschenrechte. Das hรคlt sie und die Regierung nicht davon ab, das legislative Verfahren voranzutreiben.
Zurรผck zu Twitter. Hier schreibt Lineker auf, was er รผber den Entwurf denkt. Es gebe keinen enormen Zustrom von Flรผchtlingen, Groรbritannien nehme weniger Menschen auf als andere groรe europรคische Lรคnder. Das geplante Gesetz, es sei Ausdruck einer unfassbar grausamen Politik, die sich gegen Menschen richte, die extrem verletzlich seien. Die Sprache, welche von der britischen Innenministerin in einem Video verwendet werde โ Braveman erklรคrt dort ihren Standpunkt, droht mit Haft und endet mit der Formulierung โWe must stop the boatsโ โ sei der der Politik der 30iger Jahre in Deutschland nicht unรคhnlich. Beeindruckend die Zustimmung auf Twitter, bemerkenswert der Beitrag der Deutschen Professorin Tanja Bueltmann. Wenn Politiker eine solche Sprache benutzen, dann mรผsse man das anprangern. Dies zu thematisieren und zurรผckzuweisen sei, so Bueltmann, eine Pflicht.
Die BBC entschied sich zur Suspendierung von Lineker. Man vertritt hier die Meinung, dass er sich zu parteipolitischen Fragen oder Auseinandersetzungen nicht positionieren soll. Kollegen des Moderators und auch Mitarbeiter der unterschiedlichen Sportabteilungen des Programmanbieters zeigen sich solidarisch und haben ihre Arbeit ausgesetzt. Und auch Spieler der Premier League mรถchten dem Sender keine Interviews geben. Der Chef der BBC, Tim Davie erklรคrte, den Konflikt lรถsen zu wollen, sodass Lineker seine Arbeit fortsetzen kann. Nur wie, das ist noch unklar. Und Premierminister Sunak, er stehe hinter dem Entwurf seiner Innenministerin, lieร er mitteilen. Die Auseinandersetzung zwischen den Programmverantwortlichen und dem Moderator sei deren Sache, nicht die der Regierung. Noch ist also offen, wie der Sender und Gary Lineker zu einer รbereinstimmung kommen werden, die eine weitere Zusammenarbeit in der Zukunft mรถglich machen wird.
Britische Fernsehanbieter zeigen zwischen den Sendungen nicht nur Programmhinweise. Unmittelbar vor der nรคchsten Ausstrahlung wird ein sogenannter Station Ident gezeigt, ein kurzer Trailer, der neben dem Senderlogo und einer Ansage auch zeigt, wofรผr man steht, was wichtig ist. Die Idents der BBC, bei ihnen geht es hรคufig um die Menschen im Land, um das, was sie gemeinsam tun, wofรผr sie stehen, man fokussiert auf Vielfalt und Integration. Dazu gehรถrt es auch, unterschiedliche Meinungen zuzulassen und diese zu diskutieren, eine Tradition, die in der britischen Kultur fest verwurzelt ist. Das scheint man kurzzeitig vergessen zu haben.
Migration ist kein Phรคnomen, dessen man sich im 21. Jahrhundert entledigen kann. Die Art und Weise, wie das der Gesetzentwurf der britischen Regierung zu tun versucht, ist unertrรคglich und mit der Menschenwรผrde nicht vereinbar. Unsere Zukunft, auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, sie liegt in unserem Umgang mit Migration und darin, wie wir das Beste daraus machen, gemeinsam. Im Jahr 2017 aktualisiert Channel 4 seine Station-Idents. Sie zeigen eine aus Einzelteilen zusammengesetzte 4, die durch Groรbritannien zieht. Mal spielt das Logo mit Kindern Fuรball, bis eine Scheibe getroffen wird, worauf es zusammen mit den Kids schnell die Flucht ergreift. In einem anderen Spot macht die 4 ein Wettrennen mit behinderten Menschen, kann das Tempo nicht halten und bleibt schlieรlich auรer Atem an einer Laterne stehen. Und dann gibt es da dieses wunderbare Station Ident, in der das Logo Flรผchtlinge unterschiedlichster Herkunft vom Meer kommend nach Groรbritannien bringt, sie dort an den Felsen sicher absetzt und man sich schlieรlich zum Abschied frรถhlich zuwinkt. Ein stilisierter Entwurf davon, was Flรผchtende aus aller Welt eigentlich erwarten dรผrfen, wenn sie alles hinter sich lassen und zu uns kommen.
Der Umgang mit Migration und Migranten ist fรผr eine Gesellschaft nicht immer einfach und stellt uns auch vor Herausforderungen. Aber wir kรถnnen uns dem Phรคnomen, dessen Ursachen menschgemacht sind, nicht entziehen, so wie es die britische Regierung zumindest im Umgang mit den Bootsflรผchtlingen gerade versucht. Die geplante ungerechte, unwรผrdige Behandlung derselben mit einer Bestimmung, die nicht nur Menschenrechte verletzt, sondern eben durch entsprechende Vorkehrungen mรถgliche Verstรถรe durch das Aussetzen von Teilen der Gesetze zum Schutz dieser Rechte legitimiert sowie die im Kontext der Diskussion dieser Verordnungen verwendete Sprache als unrichtig anzuprangern, ist das demokratische Recht, eigentlich Pflicht eines jeden Bรผrgers. Dieser ist Sportmoderator Gary Lineker durch seinen Tweet nachgekommen.


