Autor und Sprecher
Technik und Gestaltung
Foto von Oleksandr Pidvalnyi
Alle fรผnf Jahre wird gelesen. Zuletzt waren 4.600 Viertklรคssler von insgesamt etwa 252 Grund- und Fรถrderschulen dabei, die zeigten sollten, wie gut ihnen diese Kulturtechnik gelingt. Um das festzustellen, wurden den Kindern Sachtexte, aber auch Auszรผge aus altersgerechten literarischen Werken vorgelegt, anschlieรend folgten die zu bearbeitenden Aufgaben. Diese dienten dem Zweck festzustellen, wie gut es klappt mit der Rezeption von Gedrucktem bei unseren Jรผngsten. Aber nicht nur der bundesrepublikanische Nachwuchs wurde geprรผft. Vielmehr handelt es sich bei der Internationalen Grundschul-Leseuntersuchung, kurz Iglu, um eine vergleichende Schulleistungsstudie, an der Kinder aus 65 Nationen teilnehmen.
Gestern Mittag nun lagen die Ergebnisse endlich vor, zwei Jahre nach dem durchgefรผhrten Test. Die Nachrichten sind keine guten, 25 Prozent der bundesdeutschen Viertklรคssler ver-fรผgen nicht รผber eine ausreichende Lesekompetenz, um Texte auf dem Mindestniveau verstehen zu kรถnnen. Anders formuliert: Ein Viertel unserer Kinder verlรคsst die Grundschule und es ist jetzt bereits klar, dass sie fรผr die folgenden Jahre ihrer Schulzeit nicht so vorbereitet sind, dass sie erfolgreich sinnentnehmend lesen kรถnnen. Lesen um zu lernen, es kann den Betroffenen nicht gelingen, der Misserfolg ist bei einer solchen Ausgangsposition vorprogrammiert.
Die Suche nach den Ursachen, sie begann bereits auf der Pressekonferenz, bei der die Ergebnisse verรถffentlicht wurden. Einen Teil ihrer Grundschulzeit haben die Getesteten gar nicht in Bildungseinrichtungen verbringen und dort lernen kรถnnen, da wรคhrend der Pandemie die Schulen immer wieder geschlossen waren. Es kam also darauf an, ob die Eltern Zeit, Gelegenheit und auch das notwendige Kรถnnen hatten, um mit ihren Kindern zu รผben. Hashtag โSoziale Lerngerechtigkeit in der Bundesrepublikโ.
Aber Corona allein ist sicherlich nicht ausschlieรlich fรผr die schlechten Ergebnisse verantwortlich. Der Erfolg des Lesenlernens, er hรคngt auch hiervon ab: Wie oft lesen Eltern ihren Kindern vor oder mit ihnen gemeinsam? Um beim Nachwuchs die Freude an der Literatur zu wecken, muss man frรผh beginnen und kontinuierlich wieder nachsteuern, dem Alter, der Entwicklung und den immer wieder neuen Interessen der Kleinen folgend. Die Begegnung mit dem Lesen in der Kindheit, sie entscheidet mit darรผber, mit welchem Erfolg der Lernprozess in der Grundschule gelingt.
Vom Zuhause in den Raum der Schule: Interessant sind die Forderungen, die die wissenschaftliche Leiterin des deutschen Teils der Igel-Studie aus den Untersuchungsergebnissen ableitet. In den ersten Schuljahren muss der Anteil des Lesens am Unterricht erhรถht werden. Kinder mit Leistungsrรผckstรคnden sollen besondere Fรถrderung erfahren, nachdem diagnostisch geklรคrt wurde, welche Ursachen fรผr die Probleme verantwortlich sind. Darรผber hinaus bedarf es einer zusรคtzlichen Ausbildung der Lehrkrรคfte im Bereich der Sprach- und Lesefรถrderung und schlieรlich soll die Unterstรผtzung der Kinder so frรผhzeitig wie mรถglich beginnen.
Die Forderungen, sie sind nachvollziehbar und logisch. Leider wird ihre Umsetzung Geld kosten. Hier geht es nicht um einen Fรถrderlehrer mehr oder einen grรถรeren Materialpool. Lehrplรคne mรผssen dahingehend geprรผft werden, ob genug Zeit fรผr die Vermittlung und Einรผbung elementarer Fertigkeiten im Unterricht eingerรคumt wird. Die Ausstattung der Schulen sollte so gestaltet sein, dass sie den Bedรผrfnissen und Lernwegen ihrer Schรผler entspricht, die Materialien mรผssen vielfรคltiges und individuelles Lernen ermรถglichen.
Und das Land benรถtigt deutlich mehr Lehrer, gut ausgebildet und vor allem vorbereitet auf einen Alltag, in dem individuelle Unterstรผtzung und Chancenausgleich ganz weit vorne im Pflichtenheft stehen und nicht Selektion. Lรคnger gemeinsam zu lernen, um mehr voneinander zu lernen, auch darรผber ist nachzudenken. Und es muss eine grundsรคtzliche Bereitschaft vorhanden sein, in die Bildung aller Kinder und damit in die gesamte nรคchste Generation nachhaltig zu investieren. Kรถnnte man sich dafรผr entscheiden, wรคre das ein erster kleiner Silberstreif an dem doch insgesamt recht dunklen Bildungshorizont.


