Autor und Sprecher
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Foto mit KI-Unterstützung erstellt
(es gilt das gesprochene Wort)
Heute möchte ich mit Ihnen über ein Thema sprechen, das mich sehr bewegt und das sicher viele von uns tief im Herzen berührt: das Recht auf selbstbestimmtes Sterben – und die Perspektive der Angehörigen, die damit umgehen müssen.
Ausgangspunkt ist ein Artikel aus den Kieler Nachrichten vom 27. April 2025. Er erzählt die Geschichte von Annemarie und Rudolf Sonntag – einem Ehepaar, das sich nach 70 gemeinsamen Ehejahren entschieden hat, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Nicht, weil sie schwerstkrank gewesen wären. Sondern weil sie das Gefühl hatten: Es ist genug.
Die Sonntags waren alt ( 90 und 92 Jahre), ja, aber sie lebten noch selbstständig. Sie gingen einmal pro Woche zur Tagespflege, ließen gelegentlich Hilfe für die Böden kommen. Sie waren nicht unheilbar krank. Annemarie backte noch immer ihren berühmten Rumkuchen, für den sie extra den hochprozentigen Alkohol kaufte. Ihr Mann, der noch mit über 90 Jahren am liebsten selbst die Autoreifen wechseln wollte. Zwei Menschen, die mitten im Leben standen – auf ihre Weise. Und die dennoch entschieden: „Jetzt ist die Zeit gekommen.“
Seit einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vor fünf Jahren gibt es in Deutschland ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Es steht nicht nur Schwerkranken offen, sondern jedem, der frei und eigenverantwortlich entscheidet, sein Leben zu beenden.
Was mich besonders bewegt hat, ist die Perspektive der Angehörigen. Denn so klar, so selbstbestimmt dieser Entschluss der Eltern war – für die Familie, für die Kinder und Enkelkinder, war es ein schwerer Weg.
Die Enkelin Marie, gerade 28 Jahre alt, beschreibt es sehr eindrücklich:
Sie dachte immer, ihre Großeltern würden diesen Schritt nicht wirklich gehen. Oder erst dann, wenn Krankheit und Leid den Alltag bestimmen.
Aber die Großeltern sagten klar: „Wir sind lebenssatt.“ Sie hatten ihr Leben gelebt, sie waren dankbar. Und sie wollten gehen, bevor ihnen der Verlust ihrer Selbstständigkeit aufgezwungen wird.
Die Angehörigen mussten lernen, das zu akzeptieren. Auch wenn es gegen ihre eigenen Wünsche war.
„Ich hätte dich gern noch 29 oder 30 Jahre gehabt“, sagt Marie zu ihrer Großmutter. Und die Großmutter antwortet, ruhig und klar:
„Ich habe mein Leben gelebt. Ihr seid gesund. Was soll ich noch warten?“
Diese Geschichte zeigt, wie schwer es sein kann, die Entscheidung geliebter Menschen zu respektieren.
Wie viel Mut es auf beiden Seiten braucht: beim Gehen und beim Zurückbleiben.
Und sie öffnet die Debatte, ob und wie der Staat dieses Recht stärker regulieren soll – eine Debatte, die derzeit wieder aktuell ist.
Für mich persönlich bleibt ein starker Eindruck:
Sterben in Würde bedeutet auch, die Würde der Entscheidung anzuerkennen – selbst wenn sie schmerzt.
Und es bedeutet, die Angehörigen nicht zu vergessen, die diesen Weg begleiten – voller Liebe, voller Schmerz, voller Respekt.
Doch gerade deshalb müssen auch die Abläufe und Regeln klar und eindeutig sein.
Bei den Sonntags war zu spüren, wie schnell nach dem Tod die Routine der Formalitäten beginnt:
Der Anwalt und die Ärztin mussten weiter, keine Zeit für einen Kaffee – der nächste Termin wartete bereits.
Kurz darauf kam die Polizei, bat alle hinaus und versiegelte die Wohnung. Eine Formalie, wie es bei unnatürlichen Todesursachen üblich ist – doch die Familie wusste das nicht.
Erst drei Tage später durften der Sohn und die Enkelin wieder hinein. Und fanden alles so vor, wie es war:
Die trocknenden Blumen auf dem Tisch. Die Brille des Vaters, achtlos abgelegt. Das Schlafzimmer, die Betten, flachgelegen.
Diese Bilder bleiben.
Und sie machen deutlich: Ein würdevoller Abschied braucht nicht nur persönliche Entschlossenheit – er braucht auch ein rechtliches und organisatorisches Umfeld, das sensibel und menschlich gestaltet ist.
Darum bleibt am Ende nicht nur der Respekt vor der Entscheidung der Sonntags – sondern auch die klare Erkenntnis:
Wenn wir ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ernst nehmen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen.
Dass Angehörige nicht allein gelassen werden.
Dass der Abschied nicht in bloßer Bürokratie untergeht.
Und dass Menschen in ihrer letzten Lebensphase auf Würde und Menschlichkeit vertrauen können – auch in der Organisation, auch im Ablauf.
Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber klare Regeln schafft.
Regeln, die schützen, begleiten – und die dem Leben und dem Sterben gerecht werden.
Nicht mehr und nicht weniger haben Menschen wie Annemarie und Rudolf Sonntag und ihre Angehörigen verdient.
Ich danke Ihnen, dass Sie heute dabei waren und sich auf dieses schwierige, aber wichtige Thema eingelassen haben.
Bleiben Sie achtsam – mit sich selbst und mit den Entscheidungen anderer.